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Wir wollten doch alles anders machen (German Writing)

Wir wollten doch alles anders machen
[German Writing]
Jene, denen wir das meiste zu sagen haben, interessiert es am allerwenigsten; und den Wenigen, die uns zuhören würden, haben wir nichts zu erzählen. Stattdessen schreibe ich Briefe. Briefe ohne Briefe zu sein, weil ihnen das, was einen Brief ausmacht, immer fehlen wird: unterwegs zu sein. Ich lege sie still auf einen großen Stapel zu meiner Rechten; dort, wo all die anderen nie gesagten Worte auf ihr trauriges Vergessen warten.
[2021/07/27]
These Lonely Summer Days (The Fifth Summer All On My Own)
Wir wollten doch alles anders machen? Du, Du wolltest alles anders machen. Ich habe doch nur darauf gewartet, dass Du endlich erwachsen wirst. Erwachsen? Wer will denn schon erwachsen werden, in dieser Welt? Sieh Dich doch mal um, man lebt nur einmal. Ich meine, willst Du wirklich genau das machen, was alle machen? Ich will einfach nur glücklich sein. Und das bin ich nicht, nicht mit Dir. Ich will mich endlich neu verlieben. Du weißt doch, dass wir nicht mehr sein werden, oder? Natürlich weiß ich das. Aber das ändert nichts, ich mag Dich ja trotzdem. Ach Du, das geht so einfach nicht, ich kann das nicht mehr. Was kannst Du nicht mehr? Das mit Dir, und dem, was da in Dir ist. Du hast es doch gar nie erst versucht.

Allein und frei umhergehen, sich nicht und niemals verleugnen. Vor niemandem, auch mir nicht. Weil das Leben viel zu kurz, die Zeit viel zu kostbar ist, um nicht sich selbst zu sein.

Das sei in etwa das, was einst von mir zu lernen war, war mir einmal gesagt worden. Die Selbstbestimmung, um sich auch im lästigen und immergleichen Alltag den Freiraum für ein bisschen Leben zu erkämpfen. Wenn ich an frühere Jahre zurückdenke, frage ich mich, ob es nicht besser gewesen war, als wir zwar wenig Geld, dafür aber viele Ideale hatten. Die Welt wollten wir nicht verändern, zu diesen Menschen hatten wir nie gehört, doch wollten wir, gemeinsam, stets das Schöne im Kleinen, Unscheinbaren suchen. Das dachte ich zumindest. An manchen Tagen, wenn mir das Unscheinbare nicht länger genügt, ich es vielleicht sogar am liebsten teilen würde, suche ich stattdessen einmal nach den wenigen Menschen, die ich kannte und die mir, meist für viel zu kurze Zeit, nahegestanden hatten. Auf vereinzelten Bildern, die ich finden kann, blicken sie lächelnd in die Kamera, nicht selten in Bezug zu ihrem heutigen Beruf. In die Stadt waren sie gezogen, hatten dort eine Ausbildung absolviert oder gar studiert, sind schließlich fest und alltäglich in einem der gewöhnlichen Berufe eingebunden. Die Arbeitsstelle liegt häufig nur wenige Querstraßen weiter zur Wohnung, die sie, nicht selten aus Bequemlichkeit, schon seit Jahren bewohnen, auch wenn hinter den Fenstern kaum der Himmel zu sehen ist. Der Himmel, der uns immer zum Träumen einzuladen wusste, wenn wir an Sommertagen, die zeitlos schienen, in Wiesen und zwischen den Bäumen gelegen und dabei hinaufgesehen hatten, nicht müde wurden die Wolken und unzähligen Gestalten darin zu zählen. Es ist eine Suche, die ein wenig schmerzt und deshalb die Frage hinterlässt, wieso ich sie überhaupt unternehme. Vielleicht, weil es einer dieser zum Scheitern verurteilten Versuche ist, die Vergangenheit mit der Gegenwart in Einklang zu bringen. Versuche, von denen wir, obwohl das Ergebnis längst bekannt ist, scheinbar doch nicht ablassen können.

Fremd sind wir einander längst geworden und vermutlich tut es gerade deshalb zuweilen regelrecht weh, den anderen auf diese Weise wiederzusehen. Wenn es eine frühere Verliebtheit ist, wirkt sie nicht selten noch immer ungemein schön und scheint, gleich wie unerklärlich das vielleicht sein mag, auch heute noch einen festen Platz im eigenen Herzen zu haben. Nicht Neid auf dessen Leben erfüllt mich, sondern eher Traurigkeit und Sehnsucht, weil wir unser Leben doch gemeinsam hatten verbringen wollen. Zumindest war es das, was wir uns in und zwischen den Zeilen gesagt hatten. Doch wenn ich sie jetzt auf diese Weise vor mir sehe, frage ich mich, was nun - auf Beruf und Einkommen, Lebensgefährte und Wohnung - noch folgen soll. Wollten wir nicht frei sein, jederzeit jede Brücke abbrechen, alles zurücklassen können? Alles, nur uns selbst nicht? Aber, und das scheint der Unterschied, sind sie vielleicht tatsächlich frei, nur ohne mich und auf eine ganz andere Art und Weise. Noch dazu vermutlich tausendmal glücklicher, als ich es je sein könnte. Doch den Gedanken, dass der Hang zum Opportunismus, der Wunsch nach Zugehörigkeit und einem festen Platz im Leben, über kurz oder lang noch die meisten zum Mittelmaß geführt hat, den werde ich lange nicht los, ist es doch das, was ich in meinem Umfeld wieder und wieder zu beobachten glaubte. Vielleicht, und das ist wohl zu hoffen, waren es nicht der Opportunismus, sondern unterschiedliche Vorstellungen vom Leben. Aber selbst, wenn dem so wäre, wurde nicht an irgendeinem Punkt der Zauber der Träume mit dem Streben nach Sicherheit ersetzt?

Zurückgeblieben bin dabei scheinbar nur ich. Das immergleiche Spiel, dass selbst die allerbesten Freunde zu Bekannten werden, mit jemandem zusammenziehen und schließlich Kinder in die Welt setzen, habe ich schon zu oft erlebt, um mich noch darüber zu wundern. Ich denke, dass ich mir treu geblieben bin, zumindest hoffe ich das, doch bin ich damit, oder überhaupt, auch alleine geblieben. Ob, und wie herum sich die beiden nun bedingt haben, bleibt wahrscheinlich immer unbekannt. Auch ich unterliege Zwängen, doch sind es überwiegend Innere, keine Äußeren. Meinem ewigen Getriebensein nach künstlerischer Verwirklichung, mein fast schon kindliches, vielleicht auch pedantisches Bestreben, irgendwie anders zu sein, solche Dinge. Das Geld reicht auch nur gerade so zum einfachen Leben. Spartanisch zwar, aber eigentlich stört mich das nicht, geht es vermutlich längst ohnehin vielen ähnlich, vielleicht sogar schlechter. Immerhin, sage ich mir manchmal, bin ich wenigstens mein eigener Herr geblieben.

Und vorhin, da saß und stand ich hier, im Abendlicht in der kniehohen Wiese zwischen den sommerlichen Hügeln. Ich wartete auf den Sonnenuntergang, hoffte auf besonders schönes Licht im nahen Sonnenblumenfeld, das sich etwas unterhalb vor mir ausbreitete. Ich hörte schließlich Musik, auch wenn mich die vorangegangene Stille nicht unbedingt gestört hatte. Und plötzlich hätte ich schreien können. Die Musik und Einsamkeit, nicht die des Tages, sondern eher des Lebens, sie brannten, in meinem Inneren. Doch zugleich war es, so seltsam es klingen mag, absolut großartig. Ich hätte mich am liebsten hier an das Sonnenblumenfeld gestellt, gebrüllt und dabei die Musik immer weiter und weiter aufgedreht. So weit, bis sie schließlich meinen ganzen Kopf, mein ganzes Sein erfüllt hätte und da nichts anderes mehr gewesen wäre. Nichts anderes außer ihr, und all dem Gefühl, für das ich weder Worte noch einen Namen finde. Ich glaube, ich hätte mir am liebsten die Seele aus dem Leib geschrien. Verstehen kann das vielleicht kaum einer, zumindest habe ich noch niemanden kennengelernt, und wahrscheinlich geht es darum auch gar nicht. Vielleicht ist es genau das, wogegen ich ein Leben wie ihres tauschte, oder gerade nicht tauschte: Einsamkeit. Sie habe ich mir bewahrt, und sie mich. Aber eigentlich, eigentlich war das von ganz alleine, ganz ohne mein Zutun gelungen.
Trotz allem bleibt am Ende die Einsicht, dass ich sie vermisse, diesen Menschen meines früheren Lebens, war sie doch eine viel zu große Verliebtheit gewesen. Und ich bin traurig, unendlich traurig, nicht an ihrer Seite gewesen zu sein. War da nicht eine Zeit, in der wir uns von jedem Sonnenauf- und Sonnenuntergang erzählen wollten? Und als ich einmal meinen ganzen Mut zusammennahm und Dich danach fragte, sagtest Du mir, dass Du glücklich seist und dass das hoffentlich auch für mich gälte. Ich hatte, ob ich nun wollte oder nicht, instinktiv übersetzt, was Du mir damit zu sagen versuchtest und daraufhin geschwiegen. Nur eines meiner ewig stillen Du fehlst mir hatte ich, immerhin etwas lächelnd, in die Welt hineingedacht. Hätte ich etwas anderes tun können, Dir vielleicht von der Einsamkeit erzählen sollen, für die Du noch nie ein Interesse hattest, auch gar nicht musstest? Nein, ich hatte verstanden. Lass mich in Frieden, ich habe mein eigenes Leben, bin ohne Dich längst glücklich, war es, was sie mir hatte sagen wollen. Doch etwas hatte sie davon abgehalten, vielleicht dasselbe Etwas, das uns überhaupt zueinander geführt und später auseinandergetrieben hatte.

2021/07/29

(Nichts war falsch daran gewesen, alles anders machen zu wollen. Falsch war nur, zu glauben, dass die wenigen Menschen, denen ich begegnet war, anders sein könnten. Nicht in Bezug auf die Welt, das nicht, aber auf mich. Am Ende waren sie das leider nicht gewesen, niemand davon.)
A Summer Between The Fields
Wir wollten doch alles anders machen (German Writing)
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